APRIL 6, 2021. ES GIBT BILDER, DIE WEH TUN
Liebe Freunde der Galerie,
muss Kunst Bilder schaffen, die weh tun? Normalerweise ist die Kunst dafür zuständig, uns zum Denken einzuladen, oder sie übernimmt die Rolle zu suggerieren, überraschen, anreizen, erinnern, prophezeien, heilen, andeuten, versüßen oder Zeugnis abzulegen. Ihre aktuelle Aufgabe ist es nicht, Gewalt direkt zu zeigen, dafür gibt es das reale Leben und die Medien. Aber in der Kunstgeschichte kennen wir Munchs Schrei, Picassos Guernica, Bacons Figuren, Goyas Kriegsdesaster, Boschs Garten, Rubens' Massaker an den Unschuldigen, Christi Kreuzigungen oder die Martyrien von Heiligen von so vielen Künstlern, die diese als Realität dargestellt haben. In vielen Fällen waren sie Übersetzungen der biblischen Geschichten in Bilder, damit die Menschen sie verstehen und sich vorstellen konnten, mit unterschiedlichen Zwecken, aber immer auf der Suche nach einer Reaktion der Zuschauer.
Für mich ist die Künstlerin, die den Schmerz am besten erzählt hat, die Mexikanerin Frida Kahlo, gerade weil sie sehr genau wusste, wovon sie sprach. Ihre Bilder haben nicht die Größe einiger der oben genannten Gemälde. Dieses Werk mit dem Namen "Die zerbrochene Säule" misst kaum 40x30 cm und reicht aus, um den Schmerz dieser Frau zu übermitteln, die keine 50 Jahre alt wurde. Sie hat uns gelehrt, dass Kunst authentisch und großartig sein kann, auch wenn sie aus dem Persönlichsten heraus ausgedrückt wird, und zwar ohne Geschrei oder Theatralik. Das Bild wurde 1944 gemalt, befindet sich im Dolores Olmedo Museum in Mexiko-Stadt und stellt die Künstlerin vor einem Gioconda Hintergrund und voller Nägel dar, mit einer an mehreren Stellen gebrochenen ionischen Wirbelsäule. Sie hat Tränen in den Augen, aber ohne jeden Ausdruck von Schmerz, eher mit der Würde der Akzeptanz von jemandem, der kein Held ist. Und doch spüren wir ihr Leiden mehr, als wenn sie die Mimik von Munchs oder Bacons Figuren übernommen hätte. Die Künstlerin stellt das Unerträgliche so dar, als könne man es ertragen. Ihr Schrei ist stumm und deshalb umso klangvoller, aber da es so ein kleines Bild ist, können wir ihn noch hören?
Viele von uns zeigen in diesem Moment einen ähnlichen Ausdruck und versuchen so, die Situation, an die wir alle uns anpassen müssen, zu ertragen. Muss die Senkung der Pandemiezahlen davon abhängen, dass Einige geopfert werden, zum Beispiel kleine Geschäfte, während Andere in den Urlaub fliegen? Ist eine gerechtere Verteilung der Verantwortung wirklich nicht möglich? Wenn diese Ungleichheiten auftreten, gibt es Bilder, die weh tun.
Herzliche Grüße und bleiben Sie gesund.